9. Rembrandts Prophezeiung
Im Kölner Wallraf-Richartz-Museum hängt eines der letzten
Selbstporträts Rembrandts. Diese im Jahr 1669 entstandene, kleinformatige
Arbeit gehört für mich zu den prophetischsten seiner Werke. Um eine solche
Arbeit zu malen, reicht es natürlich nicht aus, lediglich ein herausragender
Meister zu sein. Man muss auch ein entsprechendes Leben durchlebt haben.
Rembrandts Leben war ein typisches menschliches Leben, ein Leben wie es jeder
durchlebt. Gleichzeitig aber zeichnete sich dieses Leben durch ein ungewöhnliches Relief aus. Es
gab Höhenflüge und Abstürze. In der ersten Hälfte seines Lebens, als deren
Abbild sein berühmtes Selbstporträt zusammen mit Saskia aus dem Jahr 1638
gelten kann, war er mit weltlichen Gaben überhäuft – er war mit Ruhm, Liebe,
Geld und Ansehen gesegnet.
Natürlich hatte er das alles verdient (oder es war Teil eines Plans).
Später aber hat ihm das Leben – wie dies häufig geschieht – alle diese
weltlichen Gaben wieder genommen. Seine Kinder starben, kaum dass sie geboren
waren, eins nach dem anderen. Er verlor seine Frau, die er über alles geliebt
hatte. Sobald er zu malen begann, was nicht den Vorstellungen seiner
Zeitgenossen entsprach, verlor er Aufträge und später Geld, sein herrliches
reiches Haus, seine umfangreiche Bildersammlung. Später starben auch seine
zweite Frau und der einzige überlebende Sohn Saskias Titus. Es folgten völlige
Vergessenheit und Demütigungen.
Und dann schließlich das letzte Selbstporträt: ein gebeugter zahnloser
Alter mit einem seltsamen Lächeln im Gesicht, das sich schlicht nicht
beschreiben lässt. Ein solches Lächeln dürften nur Leute haben, die viel
durchgemacht haben, die viel durch Leben geirrt sind, aber schließlich trotz
allem einen höchsten Punkt erreicht haben, von dem aus sich ihnen etwas zuvor
Unerreichbares erschließt und verständlich wird. Es ist doch durchaus möglich,
dass der Mensch seinen Höhepunkt erreicht, wenn ihm der Schleier von seinen
Augen fällt, alles Weltliche wie eine leere Hülle von ihm abfällt und er sich –
wie auf diesem Bild – in Licht verwandelt.
Aber auf diesem Selbstporträt gibt es noch etwas anderes, was auch für
Rembrandt selbst ungewöhnlich ist. Vor ihm ist eine Figur zu sehen, die einem
Menschen ähnelt, mehr noch aber einer Modellpuppe, oder wie wir heute sagen
würden – einem Roboter oder Cyborg. Dabei gilt das gequälte Rembrandtsche
Lächeln ganz offenkundig dieser Figur, in deren Richtung er mit seinem Malstock
zeigt. Es ist also so, dass der von seinem Lebensweg gequälte und ausgelaugte
Mensch mit letzter Kraft eine Höhe erklimmt. Und was sieht er dort? Eine Puppe,
die bar jeder Emotionen ist. Wenn auf dem kurz vor dem Kölner Selbstporträt
entstandenen Bild „Die Rückkehr des Verlorenen Sohnes“ aus der Petersburger
Eremitage der Vater seinem Sohn alles verzeihend die Hand auf die Schulter
legt, ihn umarmt und an sich drückt, ist diese Szene ungewöhnlich emotional.
Auch auf dem Kölner Bild ist ein überaus wichtiges Treffen beschrieben, aber
vollkommen anders – ein Treffen mit dem blinden Schicksal, mit dem
mechanischen, „digitalen“ Bild seiner selbst. Vielleicht ein Treffen mit der
Druckplatte, von der er gedruckt wurde, ein Treffen mit dem, der dir folgt?
Igor Ganikowskij Part from the text " Warten und hoffen" ( www.ganikowskij.com)
Igor Ganikowskij Part from the text " Warten und hoffen" ( www.ganikowskij.com)
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